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Juni 2013

8. Juni 2013 – Halberstadt fährt historisch
9. Juni 2013 – Besuch an altbekannter Fotostelle
16. Juni 2013 – Sonne ist nicht immer gut...
29. Juni 2013 – Eine U-Bahn im Grünen und E18 lebt!







Sonnabend 8. Juni 2013 – Halberstadt fährt historisch

Tw 39

Der Straßenbahnbetrieb in Halberstadt gehört zu den bemerkenswertesten Straßenbahnbetrieben in Deutschland – seit 1903 rollen durch die knapp über 40.000 Einwohner zählende Stadt elektrische Straßenbahnen, derzeit mit zwei Linien und 10,7 km Streckenlänge. Während im Westen vergleichbare Städte ihre Straßenbahnen bereits in den 1950er und 1960er Jahren verloren, behielten in der DDR einige Kleinstädte ihre Straßenbahn – allerdings nicht aus Überzeugung über das System Straßenbahn, vielmehr aufgrund der wirtschaftlichen Unzulänglichkeiten der DDR und der in den 1970er Jahren vorherrschenden Ölknappheit. Mancher Betrieb fuhr damals an der absoluten Verschleißgrenze von Fahrzeugen und Infrastruktur, so auch die Straßenbahn in Halberstadt.
Aus Anlass des 110-jährigen Bestehens der elektrischen Straßenbahn in Halberstadt verkehrten heute alle historischen Straßenbahnen
der HVG – fünf Triebwagen und ein Beiwagen – zusätzlich zu den planmäßigen Kursen, hier der T57-Triebwagen 39 mit Beiwagen 61 an der Hst Hoher Weg.

Leoliner

Nach der Wende blieben aufgrund großzügiger Fördermittel praktisch alle Straßenbahnbetriebe in der DDR erhalten und konnten umfassend modernisiert werden, zunächst mit Gebrauchtfahrzeugen aus dem Westen und inzwischen durchweg mit neuen Niederflurfahrzeugen. Lediglich das kleinere Naumburg verlor 1991 zunächst seine Ringbahn, welche von Enthusiasten aber nie völlig aufgegeben wurde und auf Rumpfabschnitten als Touristikstraßenbahn betrieben wurde. Seit 2007 wird in Naumburg wieder ein täglicher Betrieb auf fast 50% der früheren Streckenlänge angeboten.
Da die historischen Fahrzeuge der HVG keine Weichensteuerung besitzen, müssen die Weichen vor und nach den Fahrten mit den historischen Zügen vom Fahrer manuell umgestellt werden. Hier steht der Leoliner-Tw 1 an der Einmündung Gröperstraße/Dominikanerstraße zur Fahrt Richtung Hauptbahnhof bereit. Die Strecke durch die Gröperstraße zum Friedhof, an dessen Ende auch der Betriebshof liegt, wird nur noch Mo-Sa befahren.

Tw 31

Die Stilllegungspläne verschwanden auch aus Halberstadt nie wirklich, so beschloss der Stadtrat Halberstadt im Juli 2011 eine Einstellung der Straßenbahn zu prüfen, welche derzeit vom Stadtrat mit Auslaufen der Bindung der Fördermittel zur Gleissanierung in einigen Jahren angestrebt wird. Nach einem Grundsatzbeschluss war im Juli 2003 die Zukunft der Halberstädter Straßenbahn zunächst gesichert und die HVG beschaffte 2006/07 fünf Neubautriebwagen vom Typ Leoliner, welche bei der Fa. HeiterBlick in Leipzig parallel zu einer Serie für Leipzig gefertigt wurden.
Der 1939 von Lindner gebaute Triebwagen 31 wird seit über 30 Jahren für historische Stadtrundfahrten eingesetzt, 2006 wurde der Wagen nach einem Zusammenstoß mit dem LOWA-Tw 36 umfangreich instandgesetzt. Der Sonderfahrzeugbestand in Halberstadt ist größer als der Bestand an Fahrzeugen des Regelbestandes. Ein deutliches Zeichen, welch Stellenwert die Straßenbahn bei den Mitarbeitern der HVG und der Bevölkerung genießt. Hier hat der Wagen 31 gerade die Hst Gröperstraße verlassen. Unter anderem in der Gröperstraße kam die Wende einige Jahre zu spät, noch kurz vor dem Mauerfall wurden hier etliche Fachwerkhäuser abgerissen und durch – immerhin architektonisch gestaltete – Plattenbauten ersetzt.

Tw 31

In der ebenfalls in den 1980er Jahren erheblich umgestalteten Dominikanerstraße fährt der Tw 31 gen Hoher Weg.

Tw 39

Nach der Wende wurden die meisten der verbliebenen historischen Fachwerkhäuser umfassend saniert, die Voigtei und die umliegenden Straßen der Altstadt sind heute ein Kleinod. Der Bereich Gröperstraße/Dominikanerstraße wäre ohne den umfangreichen Abriss Mitte der 1980er Jahre – bei dem u.a. auf der rechten Straßenseite sämtliche Häuser abgerissen wurden – heute sicher ohne Straßenbahnbetrieb. In früheren Zeiten waren für Fußgänger Warnschilder erforderlich, da bei Straßenbahnfahrten kein Platz mehr zwischen Hauswand und Straßenbahn verblieb.

Tw 29

Was heute von den meisten Fachwerkhäusern übrig wäre, wenn es den Mauerfall 1989 nicht gegeben hätte, sieht man an einzelnen in der Gröperstraße noch vorhandenen Ruinen, wo nur noch die Grundmauern stehen. Der von 2001 bis 2009 am Betriebshof der HVG als Denkmal aufgestellte Reko-Tw 29 aus dem Jahr 1975 ist seit 2011 wieder betriebsfähig und rundet die Bandbreite der Sammlung von in der DDR gebauten Zweiachsfahrzeugen ab.

Tw 36

Seit 1993 steht der 1957 vom Waggonbau Gotha gebaute ET54-Triebwagen 36 für Sonderfahrten zur Verfügung, hier nahe der Hst Zuckerfabrik.

Leoliner

Der tägliche Fahrzeugauslauf ist in Halberstadt inzwischen vollständig auf Niederflur umgestellt, die fünf Leoliner reichen für die Umläufe aus. Lediglich bei Werkstattaufenthalten muss einer der noch betriebsfähigen GT4 aus Freiburg (167 und 168) oder Stuttgart (156) im Liniendienst aushelfen. Die garantiert niederflurigen Umläufe sind im Fahrplan entsprechend gekennzeichnet. Hier hat der Tw 4 die Hst Voigtei verlassen und fährt weiter zum Sargstedter Weg.

Leoliner

Von der Voigtei, wo bis 1990 links in der Sackgasse ein verschlissenes Wendedreieck inmitten desolater Fachwerkhäuser vorhanden war, wurde bis 1993 eine Neubaustrecke über zwei Haltestellen zum Sargstedter Weg angelegt und so wesentlich zum Weiterbetrieb der Halberstädter Straßenbahn beigetragen.
Eine Weiterführung der Straßenbahn in die langgezogene Sargstedter Siedlung wäre heute
sicher ein Plus für die Auslastung der Straßenbahn, unterblieb in den Jahren ab 1990. Heute ist hier alles vorbildlich restauriert und die Straßenbahn durchfährt die Altstadt, jedoch nur auf einem kleinen Stück – der Rest Halberstadts schaut wie eine typische Kleinstadt aus. Zeichen des Verfalls sind unübersehbar – es verfallen zwar kaum Altbauten mehr, aber zahlreiche Neubauten aus den späten DDR-Zeiten stehen heute leer und verfallen.

Tw 168

Triebwagen 168 stammt aus Freiburg und kam 1994 zunächst nach Nordhausen, wo er die alten Gothaer Gelenkzüge ersetzte und wurde nach Lieferung von Neufahrzeugen 2003 an Halberstadt abgegeben. Seit 2007 ist der Tw 168 Reservefahrzeug, aus Anlass des Traditionsfahrtags kam der GT4 168 für eine Runde auf Strecke.

Tw 168

GT4 168 hat die Hst Torteich verlassen und fährt in Richtung Klus.

Tw 29 und S4000

An der Voigtei kam es zu einem überraschenden Treffen mit einem IFA S4000, welcher zu einem Oldtimertreffen unterwegs war. Da der Gotha-Zug aus den Wagen 39 und 61 als nächste Fahrt zu erwarten war, bot sich ein kleiner Fototermin geradewegs an. Zwei Oldtimer aus den 1960er Jahren, eine Begegnung wie sie vor 50 Jahren Alltag gewesen sein wird. Doch sah es damals in Halberstadt nicht so aufgeräumt aus wie heute, anno 2013.

Tw 39 und S4000

Rein zufällig waren an der Voigtei weitere Ladearbeiten erforderlich und so kam es kurz darauf zu einem nochmaligen Aufeinandertreffen der historischen Fahrzeuge.

Tw 39

Anschließend erfolgte ein schneller Ortswechsel zum Streckenast nach Klus, auf dem seit Jahren nur noch an Wochenenden und Feiertagen gefahren wird. Aufgrund der abseitigen Lage des Astes mit nur wenig Wohnbebauung, aber einigen Freizeitanlagen wurde bereits in früheren Jahren unter der Woche ein Pendelverkehr zur Herbingstraße gefahren und nur an Wochenenden durchgehender Betrieb angeboten. Heute im Wochenend-Halbstundentakt fährt jeder zweite Umlauf weiter nach Klus, was dem Streckenunkundigen etwas Denksport beim Fahrplanlesen abfordert.

Tw 30

Neuester Zugang im historischen Fahrzeugbestand ist der Tw 30 vom Typ T2-62, 1966 als einer der letzten Gothawagen in Gotha gebaut. Von 1979 bis 1996 wurde das Fahrzeug in Halberstadt im Liniendienst eingesetzt, ehe es zur Kinderbahn umgebaut wurde. Im September 2012 wurde der Tw 30 nach Rückbau und HU als historischer Wagen in Betrieb genommen. Als Kinderbahn dient jetzt ein Freiburger GT4.
An der Bahnstrecke nach Blankenburg liegen die beiden Übergange der Linie 2 von/zur Herbingstraße. Trotz der eigentlich bereits 2011 ausgelaufenen Betriebserlaubnis der alten WSSB-Bahnübergangsanlagen sind im Osten noch zahlreiche Anlagen vorhanden, von denen jetzt jede einzelne vom EBA eine Sondergenehmigung mit genauem Ablaufdatum erhalten hat. So verbreitet die Anlage in der Westerhäuser Straße auch 2013 noch fast originales Flair, nur die Autos haben sich gewandelt und die Häuser bekamen mit der Modernisierung einen freundlichen Anstrich.

Tw 31

In Seitenlage verläuft die Strecke nach Klus entlang der Hans-Neupert-Straße, nur noch zahlreiche Kleingärten liegen hier im Einzugsbereich der Strecke.

Tw 29

An der Hst Kirschallee endet zuvor die Siedlungsbebauung. Der Stammtriebwagen der späten 1990er Jahre, Tw 29, fährt hier nach Verlassen der Haltestelle in einem kleinen Wolkenloch gen Klus.

Tw 29

Bei meinem letzten – und bis dato einzigen – Besuch in Halberstadt stand im Mai 2001 der Tw 29 noch als Stammfahrzeug auf der Linie 3 Herbingstraße – Klus und zurück im Einsatz. Im Laufe des Jahres 2001 kam er auf den Sockel am Betriebshof der HVG und kaum einer rechnete bei der damals hochaktuellen Diskussion über die Zukunft der Straßenbahn damit, dass er 10 Jahre später wieder in Originalfarben den betriebsbereiten historischen Fuhrpark bereichern wird.

Leoliner

Am frühen Nachmittag hatte die Sonne etwas geschwächelt da sich in Raum Halberstadt die Luftmassengrenze befand – welche Schönwetter im Norden von schlechtem Wetter im Süden trennte. Tw 1 passierte den Bü Westerhäuser Straße bei Sonnenschein, was zweimal mit historischen Fahrzeugen nicht geklappt hatte. Umso größer der Kontrast von Neubauwagen auf angejahrter Infrastruktur.

BR 640

Während die Straßenbahn in Fahrtrichtung Herbingstraße links an der Hst Westerhäuser Straße auf Weiterfahrt wartete, schlossen sich die Schranken. Da der Fotograf zu diesem Zeitpunkt auf der "falschen" Seite stand, wäre ein Foto mit Eisenbahn und Straßenbahn nicht möglich gewesen – da traf es sich gut, dass die Straßenbahn eh an der Haltestelle wartete und nicht zum Bahnübergang vorfuhr. So muss ich mich "nur" über den nicht ganz passenden Sonnenstand ärgern... ;-)

Tw 156

Der frühere Stuttgarter GT4 156 ist der letzte Einrichtungs-GT4 in Halberstadt und hat 2010 eine Aufarbeitung und neue, aktuelle Farben erhalten. Im Zuges des historischen Fahrtages fuhr auch dieser Wagen eine Runde über das Streckennetz, hier hat der Tw 156 die Hst Hoher Weg verlassen.

Tw 36

Der LOWA-Triebwagen 36 hatte den Tag über meist das Talent, die Fotowolke mitzuziehen. Pünktlich zum erscheinen dunkelte es ab und erst im letzten Moment der Kurvenfahrt in die Gröperstraße kam die Sonne wieder langsam hervor.

Tw 39

Im Bereich Fischmarkt hat sich das Stadtbild und die Streckenführung völlig gewandelt, die Straßenbahn wurde hier Ende der 1970er Jahre – wie in vielen Städten der DDR – aus dem zentralen Stadtbereich herausgenommen und erhielt neue Streckenführungen entlang der großzügig ausgebauten Straßen. Viele kriegsbedingte Baulücken im Zentrum wurden erst nach der Wende geschlossen und so hat sich der Bereich Fischmarkt in den letzten Jahrzehnten mehrfach völlig im Erscheinungsbild gewandelt – und der Gothazug am Fischmarkt wirkt hier heute wie ein Fremdkörper.

Tw 31

Zurück in der Altstadt stimmt das Flair wieder, auch wenn die DDR-Baupolitik aus der schmalen, gerade ein Straßenbahngleis fassenden Gasse Dominikanerstraße eine dreispurige Trasse gemacht hat.

Tw 31

Abweichend vom Fahrplan fuhr der Tw 31 vom Sargstedter Weg seine letzte Runde, so dass sich praktisch kein Fahrgast in den Zug verirrt hat, die letzte Runde vom Betriebshof übernahm außerplanmäßig der T2-62 30. An der Hst Hoher Weg traf der Tw auf den Leoliner-Tw 4.

Leoliner

Seit der Beschaffung von Einrichtungsfahrzeugen als Ersatz für die Zweirichtungs-GT4 muss an der Endhaltestelle Friedhof stets mittels einer Dreiecksfahrt über den Betriebshof gedreht werden. Da heute im Betriebshof gleichzeitig ein Tag der offenen Tür durchgeführt wurde, war eine Hst Betriebshof eingerichtet, die mit den Drehfahrten – wie hier mit Tw 4 – ohnehin bedient wurde.

Tw 39

Tw 39 legt mit Bw 61 in der Bleichenstraße die letzten Meter zur Endhaltestelle Friedhof zurück.

Bw 61

Die alten Zweiachser fielen bei Kurvenfahrt stets durch das markante Kreischen auf. Um die Belästigung von Anwohnern zu minimieren, griff man heute kurzzeitig zu einer besonderen Form der Kurvenschmierung – Schlagsahne aus der Dose hat den nötigen Fettgehalt und minimiert sogleich das Kurvengeräusch. Kleinbetriebe waren immer schon einfallsreich...

Tw 31

Nach und nach rückten die letzten Sonderumläufe in den Betriebshof ein, hier der Lindner-Tw 31 auf den letzten Metern.

Tw 169 und Tw 31

Neuester Zugang in Halberstadt ist seit diesem Jahr der aus Freiburg übernommene Schienenschleifwagen 405, nun als Tw 169 eingereiht. Das Fahrzeug wurde 1952 als T2 von der Waggonfabrik Rastatt für die Freiburger Straßenbahn gebaut und 1982 zum Schienenschleifwagen umgebaut. Im Zuge der Einrückrangierarbeiten kam der ATw 169 neben dem Tw 31 kurzzeitig an das Sonnenlicht.

Tw 30

Als letzter Triebwagen kehrt der Tw 30 wieder zum Betriebshof zurück – an dieser Stelle ein Danke an alle Verantwortlichen, dass historischer Fahrbetrieb in dieser Form noch eine Stück Normalität zu sein scheint und regelmäßig angeboten wird.
Den Straßenbahnern und Halberstädtern ist zu wünschen, dass sich in einem Zeitalter, wo alle von Elektromobilität und Klimaschutz sprechen auch die Verantwortlichen
Gedanken für einen langfristigen Fortbestand der umweltfreundlichen Straßenbahn machen anstelle des Schielens auf den Ablauf der Fördermittelbindung der Gleissanierungen, um die Straßenbahn ohne Rückzahlungsforderungen abwickeln zu können.

Fotos in Google Earth © 2013 Jan Borchers, www.bahnfotokiste.de Nach oben